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< Interview mit René Borbonus

Vielfalt nutzen

Das Thema Diversity gewinnt an Stellenwert – in der gesellschaftlichen Diskussion, in der Politik, in Unternehmen. Doch was genau ist Diversity eigentlich? Warum reden wir so viel darüber? Und was bedeutet Diversity für Unternehmen? Um diese und weitere spannende Fragen soll es im Folgenden gehen.
Das vorweg: Der Begriff „Diversity“ oder sein etwas sperrigeres deutsches Pendant „Diversität“ stehen für die Verschiedenartigkeit und Vielfalt, die Menschen in unsere Gesellschaft, aber auch in Organisationen einbringen. Sie umschreiben all das, worin Menschen sich unterscheiden können: Herkunft, Geschlecht, Alter, aber auch Religion, Erziehung und Lebensstil. Der Begriff Diversity umfasst sichtbare und unsichtbare Merkmale unserer Vielfältigkeit.

Diversity als soziologisches Konzept
Als soziologisches Konzept hat Diversity ihren frühen Ursprung in der Bürgerrechtsbewegung der USA, die gegen Rassismus gegenüber Schwarzen gekämpft hat. Sie forderte Chancengleichheit für Gruppen ein, die aufgrund von Herkunft und/oder Hautfarbe gesellschaftlich benachteiligt wurden.
Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts wird Diversity auch von der Europäischen Union als Leitbild verwendet. Und 2006 wurden Aspekte der Vielfalt im „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ auch in der deutschen Gesetzgebung verankert.

Diversity ist aber nicht nur ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema, längst ist sie auch zu einer ökonomischen Größe geworden. Lassen Sie mich dies kurz anhand einiger Zahlen und Fakten erklären.
 
Erstens: Die Bevölkerung im Erwerbsalter wird infolge des demografischen Wandels bis zum Jahr 2030 in Deutschland um gut sechs Millionen Menschen sinken, so schätzen Experten. In einer Studie gaben sogar 11,3 Prozent der befragten Unternehmen an, der demografische Wandel bewirke bereits heute eine Abnahme der Leistungs- und Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens.

Zweitens: Immer mehr Menschen haben einen Migrationshintergrund, inzwischen gut jeder Fünfte der knapp 81 Millionen in Deutschland lebenden Menschen. Mehr als die Hälfte von ihnen (56 Prozent) besitzt einen deutschen Pass.

Drittens: Rund 49 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland sind Frauen (Stand 2014). Seit 2003 steigt die Zahl der weiblichen Angestellten und Selbstständigen sehr viel stärker als die der männlichen. Doch das Potenzial ist nach wie vor groß: 1,1 Millionen derzeit nicht erwerbstätige Frauen streben den Einstieg oder Wiedereinstieg in die Arbeitswelt an.

Das bedeutet: Mehr Diversity in Unternehmen ist nicht nur wünschenswert, sie ist unausweichlich. Auf mittlere Sicht werden Teams immer bunter werden. In ihrer Geschlechterzusammensetzung, in ihrer Altersstruktur, in punkto Kultur, aber auch was die Wünsche und Erwartungen der Beschäftigten an ihren Arbeitgeber betrifft.

Herausforderungen und Chancen
Das bringt neue Herausforderungen, aber auch neue Chancen für Unternehmen mit sich. Studien zeigen, dass in sehr heterogen besetzten Teams eher Kommunikationsprobleme und Reibungsverluste bei Arbeitsprozessen entstehen können als in homogenen. Ebenso fanden Experten heraus, dass bunt zusammengewürfelte Teams mehr Zeit benötigen, um zu einer effizienten Zusammenarbeit zu finden. Die Teams zeigten sich zunächst auch weniger erfolgreich als homogene.  

Die Studien offenbarten aber auch, dass heterogene Gruppen homogenen in einigen Bereichen deutlich voraus sind: überall dort nämlich, wo es um Innovation und Wandel geht, wo kreatives Arbeiten und kreative Problemlösungen gefordert sind. Und genau dies wird in Zeiten der Veränderung immer stärker in Unternehmen gefordert sein.

 “Strength lies in differences, not in similarities.”
Karl Popper

Märkte globalisieren sich, immer mehr Unternehmen agieren international. Zudem pluralisieren sich die Gesellschaften in praktisch allen Ländern. Diversity im Team kann Unternehmen bei der Suche nach neuen Absatzmärkten und beim Bedienen neuer Zielgruppen helfen. Denn wer weiß schließlich besser, was Kunden türkischer Herkunft wollen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren eigene Familien aus der Türkei stammen? Und wer könnte sich besser in die Bedürfnisse der Zielgruppe 60 plus einfühlen als Mitarbeiter, die selbst bereits die 55 überschritten haben?
Außerdem hilft der Blick über den eigenen Tellerrand und das Einnehmen neuer Blickwinkel bei der Lösung komplexer Probleme. So nimmt Diversity im Team positiv Einfluss auf die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen und ihre Vermarktung. Professionell gemanagte Vielfalt kann die Kosten senken, weil sie zu höherer Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führt. Und last but not least kann Diversity zur Verbesserung des eigenen Images beitragen. Unternehmen mit bunten Teams wird in der Regel mehr Weltoffenheit attestiert.

Tragen wir die positiven Effekte von Diversity für Unternehmen doch einmal kurz zusammen:

  • Erfolgreiche Rekrutierung neuer Mitarbeiter.
  • Dauerhafte Mitarbeiterbindung, mehr Motivation.
  • Erschließung neuer Märkte und Kundengruppen.
  • Förderung von Innovation.
  • Verbesserung des Images.
     

Zwischen Wunsch und Umsetzung
Einige Firmen setzen bereits Diversity-Strategien um: Sie schaffen flexible Arbeitszeitmodelle für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um gezielt Frauen anzusprechen. Sie stellen gezielt Menschen mit Migrationshintergrund ein, um die sprachliche und interkulturelle Kompetenz ihrer Teams zu erhöhen. Sie versuchen ältere Mitarbeiter länger in Beschäftigung zu halten oder holen gar Mitarbeiter zurück, die sich schon im Ruhestand befinden, und integrieren sie in spezielle Projektgruppen.
In vielen Unternehmen ist das Thema Diversity schon angekommen, aber nicht überall gibt es schon Strategien und Konzepte. Doch ohne geht es nicht, sind sich Experten einig: Gezieltes Diversity Management, der bewusste Einsatz und die Steuerung personeller Vielfalt, ist der Schlüssel zum Erfolg.

Das Unternehmen macht den Unterschied
„Die Aufgabe von Führungskräften ist es, die besten Teams zusammenzustellen. Und das sind gemischte Teams – mit Frauen und Männern, unterschiedlichen Nationalitäten und Erfahrungen. Diversity ist für uns deshalb ein zentraler Erfolgsfaktor“, unterstreicht etwa Kasper Rorsted, Vorstandsvorsitzender von Henkel.
Wer Vielfalt nicht nur akzeptieren sondern gezielt nutzen möchte, muss sich ganz genau überlegen, wie er Teams zusammensetzt und Rollen vergibt. Allgemeingültige Regeln für das Management von Vielfalt in Organisationen gibt es nicht. Letztlich müssen die Programme der Größe, der Struktur und den speziellen Bedürfnissen einer Organisation angepasst werden. Führungskräfte sollten sich vorab darüber klar werden, welche Unternehmensziele sie mit Diversity Management verknüpfen und welche Herausforderungen es zu meistern gilt.
Ganz wichtig ist es, das Diversity-Konzept nicht nur theoretisch im Unternehmensleitbild zu verankern, sondern auch in der Praxis mit Leben zu erfüllen. Es reicht nicht, verstärkt Frauen, Ältere oder Menschen mit Migrationshintergrund zu rekrutieren.
 
Um Vielfalt wirklich als Ressource nutzen zu können, braucht es gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Wertschätzung, kontinuierliche Integrationsbemühungen, die Anpassung von Arbeitsplätzen (für ältere und behinderte Mitarbeiter) ebenso wie flexible Arbeitszeitmodelle für eine bessere Vereinbarkeit von Familien und Beruf.
Diversity darf nicht nur ein Lippenbekenntnis sein, sie muss von der Führung vorgelebt und strategisch angepackt werden. Weil Konfliktpotenziale entstehen, ist eine professionelle Begleitung der Teams wichtig (zum Beispiel durch Coaches) und eine nachhaltige Kommunikation im Unternehmen. Nur so kann eine konstruktive Gesamtatmosphäre erreicht werden, nur so können in Gruppen echte Synergien entstehen. 

Diversity Management: Sieben Fragen zum Weiterdenken:

1. Welchen Platz hat Diversity in unserem Unternehmensleitbild?

2. Müssen wir neue Werte verankern, neue Ziele anpeilen?

3. Wie können wir Diversity-Management im Unternehmen strukturell verankern?

4. Wie fördern wir konkret Vielfalt im Unternehmen?

5. Wie werden wir für potenzielle Bewerber interessant und wie sprechen wir diese an?

6. Wie müssen wir Rahmenbedingungen verändern, um älteren Menschen, Frauen, Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund oder behinderten Menschen ein gutes Arbeiten bei uns zu ermöglichen?

7. Welche Maßnahmen sind notwendig, um Reibungsverluste und Konfliktpotenziale zu minimieren und die Potenziale heterogener Teams bestmöglich zu nutzen?

Dateien:
Vielfalt_nutzen.pdf 228 KB

17.05.2018

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